"DER FREITAG" schreibt über Barrikade: Die Romantik kehrt in den Wald zurück:

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Die Romantik kehrt in den Wald zurück

Dokumentarfilm David Klammer war mit der Kamera bei der Besetzung des Dannenröder Forsts dabei

Von Benjamin Knödler

Schon immer ist der Wald ein besonderer Ort gewesen. Kultureller Bezugspunkt, mystisch, Sinnbild einer ebenso reichen wie bedrohten Natur. Und so ist der Wald zunehmend auch Schauplatz des Protests und damit gesellschaftspolitische Bühne geworden – es werden nicht mehr nur Häuser in Städten besetzt, sondern auch Waldstücke vom Hambacher bis zum Dannenröder Forst. Das Ziel ist der Kampf gegen den Raubbau an der Natur und in der Folge gegen ein auf Wachstum getrimmtes Wirtschaftssystem, das sich buchstäblich durch die Landschaft frisst.

Wie dystopisch das in der Realität aussieht, wird schon nach wenigen Minuten von Barrikade sichtbar. Eine Schneise der Verwüstung zieht sich durch den Wald, seine Ränder, die im Dunst verschwinden, lassen das einstige Dickicht höchstens noch erahnen. Es dominiert der Kahlschlag, die Kamera fliegt über abgeholzte Baumstämme hinweg, Baumaschinen bahnen sich ihren Weg durch das Gehölz. So sieht er nun also aus, der Dannenröder Forst in Hessen, um den es im Film des Fotografen David Klammer geht. Wobei im Zentrum nicht nur der Wald, sondern auch seine Besetzer:innen stehen.

Gerettet werden sollte der „Danni“, wie sie ihn nennen, vor dem Flächenfraß, den der Ausbau des Autobahnnetzes mit sich bringt. In Zeiten der Klimakrise, in denen es mit der Mobilitätswende eigentlich gar nicht schnell genug vorangehen kann, hat das Projekt in seiner Rückwärtsgewandtheit schon etwas Symbolisches.

2019 hatten Aktivist:innen den Wald besetzt, errichteten Baumhäuser in bis zu 20 Meter Höhe und wurden schließlich im Dezember 2020 geräumt. Die letzten beiden Monate, von September bis Dezember 2020, hat Klammer die Aktivist:innen begleitet, ist ihnen nahegekommen, hat das Leben in den Baumhaussiedlungen festgehalten. Schon die Besetzung des Hambacher Forstes, die am Ende gerichtlichen Erfolg hatte, hatte Klammer fotografisch begleitet. Hier lernt er die Aktivist:innen besser kennen, ist fasziniert von ihrer Welt.

Der Protest aus der Nähe

Diese Nähe zu den Besetzer:innen spricht aus vielen Sequenzen von Barrikade. Sie wird dadurch verstärkt, dass David Klammer die gesamten Aufnahmen alleine gemacht hat – ohne zusätzlichen Kamera- oder Tonmenschen. Er begleitet die Bewohner:innen des Waldes auf die Baumhäuser, ist bei der Einweisung von Neuankömmlingen dabei, beim Klettertraining, bei Protestkonzerten oder auch, wenn im Camp aufgeräumt und der Müll aus dem Wald gebracht wird.

Erklärt wird dabei wenig, mit Namen wird niemand vorgestellt, es sind zuweilen scheinbar willkürliche Begegnungen, die die Zuschauer:innen etwas verloren zurücklassen. Viele der Aktivist:innen sind maskiert oder geschminkt – so entsteht ein irritierender Kontrast: Einerseits lassen die Besetzer:innen tief blicken – in ihre Angst vor der Klimakrise, ihr Verantwortungsgefühl vor den folgenden Generationen, ihre fundamentale Kritik am Kapitalismus und ihre Sehnsucht nach einem alternativen Lebensmodell, die mitunter zur Revolutionsromantik wird. Andererseits bleiben die Protagonist:innen erstaunlich ungreifbar. Bekommt man also wirklich mehr Einblick in das Leben der Aktivist:innen als in anderen Dokus über die Besetzung? Nicht wirklich – und doch unterscheidet sich Barrikade von anderen Filmen dieser Art.

Eindrücklich sind vor allem die Bilder, die Klammer eingefangen hat – eine Ästhetisierung des bedrohten Waldes ebenso wie der Protestbewegung. Es sind Nahaufnahmen der Baumhäuser mit Blick fürs Detail, das Festhalten von Momenten, in denen Aktivist:innen sich schminken, im Kollektiv einen Baum zu einer Barrikade tragen oder sich die Fingerkuppen anritzen, um schwerer identifizierbar zu sein. Das macht zwar nicht jede Form des gezeigten Protestes überzeugend – die esoterisch anmutenden Zeremonien von Extinction Rebellion oder die überholt wirkenden Protestkonzerte zum Beispiel. Und doch wird Barrikade so zu einer Verneigung vor dem Protest und den Idealen der Besetzer:innen – und vor dem, was sie bewahren wollen.

English Version

Romanticism returns to the forest

Documentary: David Klammer was there with his camera during the occupation of the Dannenrod Forest

By Benjamin Knödler

The forest has always been a special place. Cultural reference point, mystical, symbol of a nature that is as rich as it is threatened. And so the forest has increasingly become a site of protest and thus a socio-political stage - it is no longer just houses in cities that are occupied, but also pieces of forest from Hambach to Dannenröder Forst. The goal is to fight against the overexploitation of nature and, as a consequence, against an economic system trimmed for growth that literally eats through the landscape.

Just how dystopian this looks in reality becomes apparent after just a few minutes of Barrikade. A swath of devastation runs through the forest, its edges disappearing in the haze, leaving at most a hint of the former thicket. The clear-cutting dominates, the camera flies over cut tree trunks, construction machines make their way through the woods. So this is what it looks like now, the Dannenröder Forst in Hesse, which is the subject of photographer David Klammer's film. The focus is not only on the forest, but also on its occupants.

They wanted to save the "Danni," as they call it, from the land consumption caused by the expansion of the highway network. In times of climate crisis, when the mobility revolution cannot move fast enough, the project has something symbolic in its backward-looking nature.

In 2019, activists occupied the forest, erected tree houses up to 20 meters high and were finally evicted in December 2020. For the last two months, from September to December 2020, Klammer accompanied the activists, got close to them, and captured life in the tree house settlements. Klammer had already accompanied the occupation of the Hambach Forest, which was ultimately successful in court, photographically. Here he got to know the activists better and was fascinated by their world.

The protest up close

This closeness to the squatters speaks from many sequences of Barrikade. It is reinforced by the fact that David Klammer shot all the footage alone - without an additional camera or sound man. He accompanies the inhabitants of the forest to the tree houses, is present during the briefing of new arrivals, during climbing training, at protest concerts, or even when the camp is cleaned up and the trash is taken out of the forest.

Little is explained, no one is introduced by name, the encounters are sometimes seemingly random, leaving the audience somewhat lost. Many of the activists are masked or made up - this creates an irritating contrast: on the one hand, the occupants give us a deep insight into their fear of the climate crisis, their sense of responsibility for future generations, their fundamental criticism of capitalism and their longing for an alternative life model, which sometimes turns into revolutionary romanticism. On the other hand, the protagonists remain surprisingly intangible. So does one really get more insight into the lives of the activists than in other documentaries about the occupation? Not really - and yet Barricade differs from other films of this kind.

Most impressive are the images that Klammer has captured - an aestheticization of the threatened forest as well as the protest movement. There are close-ups of the tree houses with an eye for detail, capturing moments in which activists put on makeup, collectively carry a tree to a barricade, or scratch their fingertips to make them harder to identify. This does not make every form of protest convincing - the esoteric ceremonies of Extinction Rebellion or the seemingly outdated protest concerts, for example. And yet Barrikade becomes a bow to the protest and the ideals of the occupants - and to what they want to preserve.

David Klammer