SZ schreibt über meine Klage gegen das Land Hessen und Pressefreiheit
Aus der Süddeutschen Zeitung, 15.09. 2021:
David Klammer soll der Polizei Geld zahlen, weil sie ihn aus einem Baumhaus im Dannenröder Forst geborgen hat. Nun klagt der Journalist.
Von Thomas Balbierer
Eigentlich, sagt David Klammer, habe er in seinem Dokumentarfilm eine Geschichte über das Leben im Wald erzählen wollen, das Porträt eines "alternativen Lebenskonzepts". Der Fotojournalist hat dafür im vergangenen Jahr mehrere Wochen im besetzten Dannenröder Wald in Mittelhessen verbracht und gefilmt, wie Umweltaktivisten dort in Bäumen wohnen. Ihr Ziel: die Rodung des Waldes für einen Autobahnbau zu verhindern. Doch Klammers Geschichte wurde größer.
Als die Polizei im November mit der Räumung der besetzten Waldstücke begann, ging es plötzlich auch um Fragen von Recht und Gewissen, Gehorsam und Ungehorsam, Gegenwart und Zukunft. Das zeigt eine Schlüsselszene am Ende von Klammers Film. Da klettert ein Polizist des Spezialeinsatzkommandos (SEK) mit Sturmhaube und Helm in eines der Protestbaumhäuser und trifft auf Aktivistinnen in dicken Jacken und Baumwollmützen. Sie fordern, die Räumung zu stoppen.
"In the end, nature always wins", sagt eine.
"Mit Sicherheit", antwortet der Polizist.
"Warum dann dagegen wehren?"
"Weil Recht und Gesetz durchgesetzt werden müssen."
Er sei ja auch für die Klimawende, sagt der Polizist. "Nur eine Klimawende geht nicht von heute auf morgen." Die Aktivistin sagt: Irgendwann werde er seinen Enkeln erklären müssen, dass er den Wald für eine Autobahn geräumt habe. "Ich werde sagen, ich habe mich dagegen gewehrt." Wortlos legt ihr der Beamte einen Sicherungsgurt um den Oberkörper, dann wird sie abgeseilt.
David Klammer arbeitet als Pressefotograf zum Beispiel für den "Spiegel" und die "Zeit". Für einen Dokumentarfilm begleitete er im Dannenröder Wald über Wochen hinweg Umweltaktivisten.
Aus nächster Nähe dokumentiert der Film, wie die Räumung des Protestcamps im Dannenröder Wald ablief. Ein fast intimer Einblick, der nur möglich war, weil Klammer ungestört filmen konnte. Das sei nicht immer so, sagt er. Denn kurz darauf war David Klammer in zwei weitere Räumungen verwickelt, am 3. und 4. Dezember 2020. Diesmal sei er selbst plötzlich an beiden Tagen der Erste gewesen, den das SEK aus den Bäumen geholt habe, sagt Klammer. Keine Chance für weitere Aufnahmen. Vor Kurzem hat ihm die hessische Polizei für die "Bergung" auch noch zwei Zahlungsaufforderungen geschickt: 1236,16 Euro soll er insgesamt zahlen. "Kostenerhebung für polizeiliche Amtshandlungen" steht über den beiden Schreiben, die der SZ vorliegen.
Klammer soll durch seine Arbeit gegen eine Allgemeinverfügung verstoßen haben, die das besetzte Waldstück in Hessen zum Sperrgebiet erklärt hatte. Er hätte gar nicht erst in dem Baumhaus sein dürfen, heißt es in der Begründung. Nun soll er sich an den Kosten des Einsatzes beteiligen - so wie die Protestteilnehmer. Dass er aber dort als Journalist und nicht als Aktivist war, spielt in den Schreiben keine Rolle. Der Vorgang wirft die Frage auf, welche Freiheiten Journalisten bei ihrer Berichterstattung über unkonventionelle Protestformen haben, zum Beispiel bei Besetzungen, und wo der Staat die Grenze zieht.
Klammer ist überzeugt, sich nicht falsch verhalten zu haben. Als Dokumentarfilmer müsse er nah dran sein. Außerdem habe er sich der Polizei stets als Journalist zu erkennen gegeben, seinen Presseausweis sichtbar am Körper getragen und "Presse"-Aufnäher an Helm und Jacke montiert, Fotos belegen das. Dass die Polizei nach beiden Räumungen seine Personalien festgestellt und ihn am 4. Dezember sogar wie einen Aktivisten durchsucht habe, hält Klammer für unangemessen. Er habe extra noch bei der Pressestelle der Polizei angerufen, um seine Situation zu schildern. Doch das habe die Beamten vor Ort nicht sonderlich interessiert, sagt Klammer. "Ich hätte stärker protestieren sollen. Ich bin kein Aktivist, ich bin Journalist."
Als im Frühjahr der erste Anhörungsbogen zu dem Vorfall eintraf, versuchte er erneut, seine Rolle einzuordnen, und schrieb einen Brief an die Polizei. Er arbeite als Fotograf für Medien wie den Spiegel und die Zeit und werde von der Kölner Agentur Laif vertreten. "Als Pressevertreter ist es wichtig, mich für eine ausgewogene Berichterstattung nah an den Menschen zu befinden, über die ich im Interesse der Öffentlichkeit berichten muss." Dem Schreiben fügte er eine Kopie seines Presseausweises an.
Auch das half nichts, am 10. August trudelten schließlich die Zahlungsaufforderungen ein. Dagegen klagt David Klammer nun vor dem Verwaltungsgericht Wiesbaden. Der Polizeieinsatz, argumentiert sein Anwalt in der Klage, sei "insgesamt rechtswidrig" gewesen. Erst vor einer Woche hatte das Kölner Verwaltungsgericht in einem ähnlichen Fall die Räumung des Hambacher Forstes für rechtswidrig erklärt. Außerdem sei Klammer "in Ausübung seiner Pressefreiheit tätig" gewesen, immerhin ein Grundrecht.
Das zuständige Polizeipräsidium Mittelhessen will auf SZ-Anfrage keine konkreten Fragen zu den Vorgängen am 3. und 4. Dezember beantworten und verweist auf den laufenden Rechtsstreit mit Klammer. Allerdings teilt es mit, dass es bei den Räumungen mehrmalige Aufforderungen an die Beteiligten gegeben habe, die Baumhäuser zu verlassen. Auch auf die entstehenden Einsatzkosten sei hingewiesen worden. Der Polizei sei zudem kein Fall einer Bergung bekannt, "in der sich die betroffene Person im Vorfeld gegenüber den Einsatzkräften klar als Journalistin oder Journalist zu erkennen gegeben hätte". Pressevertreter hätten "in polizeilicher Begleitung" die Möglichkeit gehabt, das Sperrgebiet zu betreten. "Nach unserer Einschätzung haben wir für die Pressevertreter höchstmögliche Transparenz gewährleistet", teilt das Polizeipräsidium mit.
Klammer sagt, er habe das Baumhaus in dem einen Fall gar nicht mehr verlassen können, da die Umweltschützer den einzigen Ausgang vernagelt hätten. In dem anderen Fall habe er aus 25 Metern Höhe die Durchsagen der Polizei schlicht nicht mehr verstanden. Den Beamten habe er sich sehr wohl als Journalist zu erkennen gegeben, sogar bei der Pressestelle der Polizei angerufen. Als Beweis schickt er den Screenshot seiner Anrufliste, auf der ein zweiminütiges Gespräch mit dem Pressetelefon der Polizei Mittelhessen gespeichert ist. Das genaue Datum ist jedoch nicht erkennbar. Aber auch abseits der Details ist eines klar: In polizeilicher Begleitung wäre der Filmer nicht so nah an die Aktivisten herangekommen. Die Nahaufnahme der Baumhausräumung hätte es nie gegeben.
Wenn er in ähnlichen Fällen künftig mit hohen Kostenforderungen rechnen muss, werde es "schwierig, authentisch zu berichten", sagt Klammer. Er hofft, dass von seiner Klage ein Signal für die Pressefreiheit ausgehen wird. Der Protest im Dannenröder Wald sei ein "wichtiges zeitgeschichtliches Thema, das man dokumentieren muss". Sein 83-minütiger Film mit dem Titel "Barrikade" hat übrigens Anfang November Premiere. Es ist der erste große Film des Fotografen. Und wer weiß, sagt Klammer, "vielleicht werde ich jetzt Dokumentarfilmer".